Nassau - Dass der Mann dort vorne ihr Opa sein könnte, interessiert die 270 Nassauer Grundschüler nicht. Dass er mit der Kultgruppe Deep Purple in London auf der Bühne stand und mit BAP und den Scorpions gespielt hat, wissen sie gar nicht. Mario Argandona hat trotzdem ihre ganze Aufmerksamkeit. Mit unbändiger Spielfreude trommelt der 62-Jährige auf der Djembé, schrubbt die Gitarrensaiten und führt wilde Tänze auf. Die Kinder lassen ihn nicht aus den Augen und verpassen keinen Einsatz. Sie sind selbst Teil eines großen Orchesters und Chors. Und die gut 150 Eltern, die sich auch noch in die Turnhalle der Freiherr-vom-Stein-Grundschule gedrängt haben, werden innerhalb weniger Minuten mit in den Bann dessen gezogen, was dort vor sich geht.
Alle Zweifel ausgeräumt
Zwei Männer in gelben Poloshirts haben innerhalb eines Vormittages aus den vier Klassenstufen ein Ganzes geformt. Der Chilene Mario Argandona und sein Sohn Benjamin sind Mitarbeiter des Projekts Trommelzauber, das die Münsteraner Firma Tamborene organisiert. Lehrerinnen der Nassauer Grundschule waren auf einer pädagogischen Fachmesse in Köln auf das Angebot aufmerksam geworden. "Wir haben die Gruppe sofort eingekauft", sagt Schulleiter René Schermuly. Schließlich passe das Angebot gut zu den Bemühungen, die musikalische Bildung zu intensivieren. Kurz vor dem Aktionstag wurde dem Schulleiter dann doch noch mulmig. "Man weiß ja nicht genau, wie die das umsetzen." Als er am Vormittag die Proben besuchte, waren alle Zweifel ausgeräumt. (Das Video zum Trommelzauber in Nassau gibt es unter: www.ku-rz.de/trommelvideo)
Die Argandonas reisten am Morgen mit einer Wagenladung Trommeln an. Für jedes Kind hatten sie eines der in Afrika handgefertigten Instrumente im Gepäck. Mit je zwei Klassenstufen auf einmal zogen sie sich in die Turnhalle zurück. Die vielen Regenschauer vereitelten das Vorhaben, auf dem Schulhof zu üben. Bewegungen, Rhythmus und der Ablauf der zum Workshop gehörenden Geschichte wurden gemeinsam erarbeitet.
Neugierig und begeistert
Damit die Ausgelassenheit nicht im Chaos endete, gab es klare Regeln: Ein kleiner Wink des Chilenen mit seiner um den Hals baumelnden Miniaturtrommel war das Zeichen dafür, still zu sein und die Hände auf den Rücken zu nehmen, um der Verlockung des Weitertrommelns widerstehen zu können. "Die Kinder waren neugierig, begeisterungsfähig - und manchmal diszipliniert", sollte der Vollblutmusiker Argandona später den Eltern mit einem Augenzwinkern sagen. Sie hätten sogar etwas ganz und gar Unglaubliches geleistet: eine ganze Minute still zu sein. "Das würde ich aber nicht öfter als zweimal die Woche von ihnen verlangen", gab der verschmitzte Chilene Eltern und Lehrern mit auf den Weg.
Was sich dann am Nachmittag im Beisein der Eltern in der Turnhalle abspielt, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Gemeinsam startet man pantomimisch auf eine musikalische Reise nach Afrika, die die 270 Kinder, angeleitet von Mario und Benjamin Argandona, auf ihren Trommeln mit Rufen und Tänzen begleiten. Die Stunde ist bestimmt durch feurige Musik, mitreißenden Rhythmus und ungetrübte Lebensfreude, die von der Kinderschar ruckzuck auf die Eltern übergreift. Kindgerechte Späße tun ihr Übriges dazu. Als getanzt wird wie im Senegal, gibt Mario Argandona Anweisungen: "Der Hintern ist hinten, und er bleibt auch hinten. Die schlechte Nachricht ist: Ihr müsst jetzt ganz doll damit wackeln." Und den Erwachsenen ruft er motivierend zu: "Es macht Spaß, es macht schlank, und es kostet nicht einmal etwas."
Nach einer schweißtreibenden Stunde und einem tosenden Applaus zum Abschluss verkauft Mario Argandona noch Dutzende CDs und Miniaturtrommeln, während sein Sohn die Technik abbaut und verstaut. Dabei kommt er mit Eltern und Lehrern ins Gespräch. "Das Trommeln kann ich den Kindern an einem Tag natürlich nicht beibringen", sagt er. "Ich will sie nur aufbauen, stark machen und dafür sorgen, dass sie unglaubliches Gemeinschaftsgefühl erfahren." Vielleicht aber wecke es bei einigen das Interesse fürs Trommeln. "In Westeuropa sind Bewegung und Klang meist völlig voneinander getrennt. Wir vereinigen das", sagt der Musiker, der während des Konzerts ganzen Körpereinsatz zeigte.
Djembé statt Blockflöte?
Eine Lehrerin spielt bereits mit dem Gedanken, nach den Sommerferien die im Musikunterricht weit verbreiteten Blockflöten für eine Weile gegen afrikanische Trommeln einzutauschen. Das ist nicht zuletzt eine Frage der Finanzierung, da eine Kinder-Djembé rund 20 Euro mehr als eine Flöte kostet. Unabhängig davon stehen die Chancen aber gut, dass die Nassauer Grundschüler sich auch nächstes Jahr von den Trommeln verzaubern lassen können. "Wenn die Rückmeldungen entsprechend positiv sind, wiederholen wird das", sagt Schulleiter Schermuly.
Hier geht es zur Bilderstrecke.
Von unserem Redakteur Carlo Rosenkranz